Die Lage ist ernst für die digitale Unabhängigkeit der Schweiz. Unverständlicherweise und trotz mehrerer Interpellationen vergibt der Bund einen hochstrategischen Auftrag an amerikanische und chinesische Firmen. Das Projekt „Public Clouds Bund“ in Höhe von CHF 110 Millionen über fünf Jahre wird alle Technologien bereitstellen, die für das Funktionieren der Aktivitäten des Bundes in der Cloud notwendig sind. Mögliche Technologien sind: Big Data, Cyberabwehr, KI, Blockchain, das Internet der Dinge (IoT), Streaming, Analytics und die Datenspeicherung. Experten haben den Entscheid bereits vehement kritisiert, aber auch die breitere Öffentlichkeit hat ihr Unverständnis auf unseren Twitter- und LinkedIn-Kanälen zum Ausdruck gebracht.
Kein Schweizer oder europäisches Unternehmen wird sich an der Digitalisierung des Bundes beteiligen dürfen
Alibaba, Amazon, IBM, Microsoft und Oracle, das sind die Unternehmen, die ausgewählt wurden, um die vermeintliche digitale Unabhängigkeit des Bundes zu gewährleisten. Warum die Wahl auf die amerikanischen und chinesischen Player gefallen war, wurde in einigen wenigen Zeilen begründet. Der Standort der Rechenzentren war natürlich ein Zuschlagskriterium, steuerte aber nur 10 % zur Gesamtnote bei und eine Präsenz in der Schweiz war dabei nicht vorgegeben, was den lokalen Unternehmen de facto viele möglichen Punkte vorenthielt. Der Bund begründete die Zuschläge hauptsächlich mit den Worten „sehr attraktive Preise“ und gab an, dass innerhalb der Beschwerdefrist nicht weiter darauf eingegangen werden könne (Le Temps, 28. Juni 2021).
Die Bundesverwaltung setzt einen strategischen, für unsere Wirtschaft vielversprechenden Sektor herab
Wie kann der Bund glauben, dass er Einsparungen macht, wenn er doch seine Abhängigkeit von auswärtigen Unternehmen erhöht und lokale Firmen zur Seite drängt? Wir haben das Recht, uns diese zugespitzte Frage zu stellen, da die Strategie des Bundes so abwegig erscheint.
Der wahre Preis
„Dieser Entscheid beunruhigt Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen, die verpflichtet sind, Daten an die Bundesverwaltung abzugeben. Zudem setzt die Wahl ein schlechtes politisches Zeichen; der kantonale öffentliche Sektor und die Privatwirtschaft werden nicht dazu ermutigt, ihre Daten in der Schweiz zu speichern“, meint Anaïc Cordoba von Datalabel.ch, der den Datenschutz über die gesetzlichen Anforderungen hinaus fördert.
Wider aller Vernunft drängt der Bund die Schweiz in ein äusserst bedenkliches Abhängigkeitsverhältnis. Die Unterstützung dieses Ungleichgewichts führt zu immensen Opportunitätskosten und Umsatzverlusten für lokale Schweizer oder sogar europäische Akteure. In der Praxis wird der Bund – bei erheblichen Einsparungen – zwangsläufig:
- die Hegemonie der GAFAM stärken.
- die Etablierung der BATX im Markt vorantreiben.
- die Entfaltung unserer digitalen Souveränität verzögern.
- die Entwicklung unserer strategischen Industriekompetenz behindern.
- die Wahrnehmung und damit die Position der Schweiz als Datensafe Europas untergraben.
Werden diese Anliegen in den Angeboten mit „sehr attraktiven Preisen“ berücksichtigt?
Im Kontrast zu den vom Bund vorgelegten Beweggründen und angesichts des enormen Risikos, verspricht der tatsächliche Preis, den die Schweiz zu zahlen hat, astronomisch zu sein.
„Was bei diesem Fall am meisten erschüttert, ist das Zusammenspiel zwischen einer Art von digitaler Verantwortungslosigkeit aufgrund derer unser Land seit über einem Jahrzehnt bei der digitalen Transformation hinterherhinkt und der offensichtlichen Bereitschaft, Ausschreibungen zu veröffentlichen, die Schweizer Anbieter klar ausschliessen. Es stellt sich sogar die Frage, ob nicht gar vorab abgehaltene Verhandlungen zu dieser Situation geführt haben“, fragt sich Prof. Jean-Henry Morin des Instituts Of Information Service Science der Universität Genf. Er fährt fort: „Schliesslich findet sich dieses Land, das sich rühmt, in Sachen Innovation der globalen Elite anzugehören, in der Abhängigkeit digitaler Giganten wieder, deren Geschäftsmodelle bestenfalls zynisch sind oder uns schlimmstenfalls den Verlust unserer digitalen Unabhängigkeit auf dem Silbertablett reichen. Gesamthaft eine sehr gefährliche Situation. Wir sind also dazu berechtigt, den Fall unter anderem auf Dilettantismus, Nachlässigkeit, Unwissenheit und auf einen unsäglichen Willen zu prüfen. Für unser Land ist ein digitaler Wandel unerlässlich geworden!“
Die mangelhafte Ausschreibung gibt lokalen Anbietern keine Chance
Die Ausschreibung wurde mit dem Ziel verfasst, die digitale Unabhängigkeit der Bundesverwaltung zu stärken. Stattdessen wirft sie nun aber Fragen zur Strategie des Bundes auf. In der Ausschreibung steht ausdrücklich, dass Anbieter mehr als 24 der angegebenen 32 Diensten anbieten können und über „Rechenzentren auf mindestens drei Kontinenten“ verfügen müssen. Diese Ansprüche machen es lokalen, unabhängigen Akteuren angesichts der GAFAM- und BATX-Unternehmen de facto unmöglich, den Zuschlag zu erhalten.
Hohe Ansprüche und unmögliche Fristen verschleiern die wahren Absichten
Es bestand Grund zur Annahme, dass die Ausschreibung mit der Bewerbung schweizerischer und europäischer Anbieter kompatibel sein würde. Dem war aber nicht so. Der Bund hat einen Katalog mit Anforderungen erstellt, die für lokale Unternehmen völlig unerreichbar waren und die somit seinem Wunsch, die eigene Kontrolle über digitale Daten zu erhöhen, zuwiderliefen. Zu allem Überfluss wäre es notwendig gewesen, ganze Teams wochenlang in Vollzeit zu mobilisieren, und sei es nur, um die Bewerbungsformulare auszufüllen. Welche Unternehmen können sich das leisten?
Das langwierige Ausschreibungsverfahren an sich, das zwischen dem 7. Dezember 2020 und dem 3. Februar 2021 stattfand, verdrängte alle lokalen Bewerber, zu denen auch infomaniak gehörte. Wir mussten geraume Zeit warten, bis der Bund unsere Fragen beantwortete. Anderen Mitbewerbern ging es nicht anders. Diese Zeit des Austausches, deren Zweck es war, die Bewerbungen potenzieller Anbieter zu begleiten, war also ziemlich nutzlos.
Der Tag, an dem die Schweizer Behörden ihre digitale Unabhängigkeit aufgaben
Angesichts der Tragweite der Entscheidung könnte man den Tag der Auftragsvergabe durchaus als Tag bezeichnen, an dem der Bund die Idee der digitalen Unabhängigkeit für die eigene Verwaltung aufgegeben hat. Die Wichtigkeit des Konzepts der digitalen Unabhängigkeit für die nachhaltige Entwicklung unserer Wirtschaft und Demokratie scheint dieser Verwaltung zu entgehen.
Alles ausser Made in Switzerland
Aus der Liste der Unternehmen, die für diesen 110-Mio.-Vertrag ausgewählt wurden, geht hervor, dass:
- es keinen Schweizer oder europäischen Anbieter gibt.
- es keinen Anbieter gibt, der offene Umgebungen oder Open-Source-Lösungen anbietet.
- Amazon noch keine Rechenzentren in der Schweiz hat, das nächstgelegene Rechenzentrum befindet sich derzeit in Deutschland.
- alle Technologien dieser Unternehmen im Ausland entwickelt und aktualisiert werden, namentlich in den USA und China.
Lokale Partner dürfen keine Rolle spielen
Die Ausschreibung des Bundes scheint darauf ausgerichtet zu sein, die langjährige Zusammenarbeit mit Microsoft zu validieren. Die Aussagen dieses Fachconsultant, der es gewohnt ist, mit grossen Gruppen zu arbeiten, verdeutlichen diese Realität: „In der IT-Welt kursierte früher mal ein Witz, wonach kein IT-Leiter gefeuert wurde, wenn er Produkte von IBM oder Oracle kaufte. Gleiches lässt sich heutzutage in Bezug auf die Angebote von Amazon (AWS) und Microsoft (Azure) sagen. Clouds sind mit einer gewissen Faszination verbunden, und Unternehmen entscheiden sich von vornherein für diese Lösungen, um ‚Problemen aus dem Weg zu gehen‘. Probleme gibt es reichlich, keine Frage.“
Diese Betriebsblindheit scheint die Entscheidungsfindung des Bundes zu beeinflussen, der die Verantwortung für seine Cloud abgibt, ohne eine Beteiligung der lokalen Unternehmen und Partner zu berücksichtigen. Sie werden nicht einmal konsultiert.
Hat Swiss Tech nicht auch die Unterstützung des Bundes verdient?
Obwohl es in der Schweiz leistungsfähige Tech-Akteure wie infomaniak, die EPFL oder auch Cloud Sigma gibt, scheint die Bundesverwaltung keine schweizerischen oder europäischen Kompetenzen integrieren zu wollen, nicht einmal, um die Unabhängigkeit kritischer Komponenten zu gewährleisten. Die Entwicklung fehlender Technologien im Projekt wird vom Bund ebenfalls nicht gefördert.
Die Schweiz externen Einflüssen auszusetzen, ist ein reelles Risiko
Was nützt eine Trinkwasserquelle, wenn man die Leitung nicht unter Kontrolle hat? Mit dem Einsatz von nicht staatlichen Lösungen gehen erhebliche Risiken einher. Heute ignoriert sie niemand mehr. Im Tätigkeitsbericht des Eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten (EDÖB) wird daran erinnert, dass gerade die Nutzung von öffentlichen Cloud-Diensten zur Folge hat, dass eine grössere Abhängigkeit von den meist weltweit tätigen Anbietern entsteht. Es ist also notwendig, den Datenschutz bereits bei der Auswahl der Bewerber (Anbieter) zu integrieren, nicht erst bei der Implementierung oder Nutzung.
Die Schweiz kann es sich nicht leisten
Alibaba, Amazon, IBM, Microsoft und Oracle: Die Entwicklung dieser Unternehmen wird direkt und indirekt von den Regierungen der jeweiligen Herkunftsländer unterstützt. Aber es geht nicht nur um Unterstützung. Es ist natürlich auch eine Frage der Souveränität und Kontrolle. Diese Unternehmen sind vom vorherrschenden wirtschaftspolitischen Willen in ihrem Land abhängig. Hervorzuheben ist das ständige Bemühen der USA („Five Eyes“), Big-Tech-Aktivitäten unter amerikanische Gerichtsbarkeit zu stellen, unabhängig davon, wo die Daten gehostet werden. Erinnern wir uns auch an das beunruhigende Verschwinden des Alibaba-Gründers, Jack Ma, der nach einigen Monaten auf wundersame Weise in einem Kontext staatlicher Propaganda wieder auftauchte.
„Können wir Akteuren wirklich vertrauen, die einer Gesetzgebung unterliegen, die wir nicht kontrollieren, die ihren Hauptsitz in einem weit entfernten Land haben, die nicht die gleichen Werte wie wir haben, die bereit sind, Grundrechtsverletzungen in Kauf zu nehmen?“, fragt François Charlet, ein auf Technologierecht spezialisierter Anwalt.
Der Bund macht einen Sprung ins Leere
Was passiert im Falle einer wirtschaftlichen, rechtlichen oder diplomatischen Auseinandersetzung, wenn alle Entwicklungsteams im Ausland sind? Weiss der Bund schon, was die Glocke geschlagen hat? Selbst wenn diese Anbieter Zertifikate vorlegen würden, gibt es Risiken, die direkt mit der fehlenden Souveränität zusammenhängen:
- Datensperren
- Backdoors
- Dienstabbrüche
- Spionage
- Datenanalysen
- Zensur
- Datenvernichtung
Solche Missbräuche treten namentlich bei „vorübergehenden Datenübertragungen ins Ausland“ auf. Es wird angegeben, dass der Datentransfer für „das Funktionieren eines Dienstes erforderlich“ sei. Unter dem Vorwand betrieblicher Zwecke kann somit das Territorialitätsprinzip im Zusammenhang mit Datenschutzbestimmungen umgangen werden. Die Daten werden, bevor sie zurückgegeben werden, ausserhalb des ursprünglichen rechtlichen Rahmens verarbeitet. Wie sie dort genau verarbeitet werden, ist natürlich nicht bekannt.
Diese Bedenken werden durch die Tatsache verstärkt, dass es in Punkt 3.6 der Ausschreibung heisst, dass die Vergabe von Unteraufträgen durchaus zulässig ist und dass die Gesamtverantwortung dafür bei den Anbietern selbst liegt. Diese Verantwortung schützt bei Weitem nicht vor Risiken, von denen es durch diese Bestimmung nur noch mehr gibt.
Der Bund befolgt die Empfehlungen der eigenen Verwaltung nicht
Der Bund ist sich der Problematik bewusst, spricht mit seinen Aktionen jedoch eine andere Sprache.
„Ein klarer Fall von Doppelmoral. Einerseits verabschieden wir ein neues Datenschutzgesetz und versuchen, das Personenrecht und die unternehmerischen Regulierungsmassnahmen in diesem Bereich zu stärken. Andererseits arbeitet unsere Regierung mit Ländern ohne ausreichenden Schutz zusammen und überträgt wahrscheinlich personenbezogene Daten von Schweizer Bürgern an sie. Schweizer Firmen und Benutzer werden dazu angehalten, ‚lokale‘ (d. h. schweizerische oder europäische) Anbieter zu bevorzugen, wenn die Regierung genau das Gegenteil macht. Die Regierung trifft wie schon bei der F-35A eine Entscheidung aus rein technischen und wirtschaftlichen Überlegungen, ohne dabei (geo)politische und sicherheitstechnische Risiken zu berücksichtigen“, erklärt François Charlet, Spezialist für Technologierecht.
Tu, was ich dir sage, und nicht, was ich tue!
Gilles Aebischer, Anwalt und Präsident von Datalabel, meint dazu:
„Die Anforderungen an den Datenschutz im privaten Bereich werden immer strenger, insbesondere in Bezug auf die Datenlokalisierung. Der Bundesrat entwickelt derzeit eine ‚Swiss Cloud‘-Zertifizierung und ein Label für Services, die die Datensouveränität garantieren. Ein Label, das der Bund wohl nicht für seine eigene Cloud verwenden kann.“
Ein schlechtes Zeichen gesetzt
Was für eine Message sendet der Bund mit dieser Strategie?
In erster Linie verstehen wir darunter, dass der Bund nicht an die Fähigkeiten und Kompetenzen der lokalen Tech-Unternehmen glaubt. Zweitens entsteht das Bild, dass der Bund die Verteidigung der eigenen digitalen Unabhängigkeit aufgegeben hat, obwohl die Schweiz ein neutrales Land ist und ein Ort, wo Unmengen Daten zusammenfliessen. (Oder, dass der Bund das Konzept der digitalen Unabhängigkeit einfach nicht verstanden hat.) Der Bund hat zudem die Chance verpasst, das Datenhosting in der Schweiz durch seine Vorbildfunktion zu fördern, sei es bei kantonalen Institutionen oder der Privatwirtschaft.
Da wir von der Zukunft sprechen gilt es schliesslich auch den Einfluss auf die Universitäten zu erwähnen. Die Wahl vermittelt, dass Universitäten ihre Studentinnen und Studenten nun mit ausländischen, proprietären Werkzeugen ausbilden müssen, anstatt lokales Know-how zu entwickeln. Zur Krönung des Ganzen erlaubt sich der Bund, kein grösstmögliches ökologisches Engagement von den Unternehmen zu verlangen, da dies in keinem Punkt der Ausschreibung gefordert wurde.
Aufruf von infomaniak
Dieser Fall zeigt auf, wie einfach es ist, langfristige Überlegungen und den Ausbau von Kompetenzen vor Ort in den Wind zu schlagen, wenn man Kosteneinsparungen, von denen man sofort profitieren kann, vor Augen hat. Er macht deutlich, wie wichtig Ihre Unterstützung und die Unterstützung des privaten Sektors im Allgemeinen für echte Fortschritte sind.
Da der Bund bei dieser strategisch wichtigen Ausschreibung das Ziel verfehlt hat, sind wir umso überzeugter, eine technologische Alternative aus der Schweiz und Europa aufbauen zu müssen. Heute mehr denn je.
Unternehmen aus der Privatwirtschaft unterstützen uns schon seit 25 Jahren und wir werden auch weiterhin Mitarbeitende einstellen, um unabhängige Alternativen zu den Web-Giganten anbieten zu können. infomaniak wird seine Technologie niemals an den Meistbietenden verkaufen. Sie können darauf setzen, dass wir im Einklang mit unseren Werten wachsen. infomaniak lebt seine ethischen und ökologischen Verpflichtungen und verewigt diese Werte bald auch in seinen Statuten, sodass sie mit Ihrem Vertrauensbeweis einhergehen.
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